Generation Porno – ein Schlagwort, das seit Jahren durch die deutschen Medien geistert. Allerorten wird in diesem Zusammenhang von einer Jugend berichtet, die schon früh und grenzenlos Sex hat – ganz im Stil der via Internet so leicht zu konsumierenden Pornos. Stimmt dieses Bild überhaupt?
Antworten geben sowohl deutsche als auch internationale Studien, die eher darauf hindeuten, dass das skizzierte Bild in die Irre führt. Das Alter beim ersten Geschlechtsverkehr ist seit den 70er Jahren fast gleich geblieben – zwischen 16 und 17 Jahren – und mehr Sex haben die Jugendlichen auch nicht. Vielmehr suchen die Jugendlichen Sexualität in festen Beziehungen, darin unterscheiden sie sich gar nicht so sehr von Erwachsenen oder früheren Generationen, wie Dr. Silja Matthiesen vom „Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie“ am Universitätsklinikum in Hamburg in einer Studie zum Thema Jugendsexualität und Internet herausgefunden hat. Orientierung für ihre eigene Sexualität sind nicht pornografische Bilder, Maßstäbe oder Skripte, sondern ein romantisches Liebesideal.
Richtig ist allerdings, dass es nie leichter war als heute, an pornografisches Material heranzukommen. Es reicht eine schnelle Internetverbindung, um vermeintlich anonym (Anonymity), kostengünstig (Affordability) und ohne große Hürden (Accessibility) Pornografie zu beziehen. Diese „Triple-A“ genannten Merkmale haben wesentlich zur Verbreitung von pornografischem Material in allen erdenklichen Variationen beigetragen. „Was the internet made for porn?“ – spitzen es gar Kulturkritiker zu. Auch für zahlreiche Jugendliche gehört der Konsum von Internetpornografie heutzutage zur Lebenswelt dazu. Die Debatte zum Thema Jugendsexualität und Internet sollte jedoch nicht allein auf diesen Aspekt fokussieren. Allzu oft wird außer Acht gelassen, dass das Internet jenseits von Pornografie Räume für sexuelle Erfahrung bereitstellt. In Chats oder sozialen Netzwerken machen Jugendliche heute ihre ersten Erfahrungen mit dem Flirten, sie positionieren sich auf dem Partnermarkt, testen ihre eigene Attraktivität. Scheinbar Anonym und schamfrei können sie in Foren Fragen stellen, ohne Gefahr zu laufen, dass das Gegenüber unangenehm reagiert. Natürlich hat es nicht nur Vorteile, wenn sich diese Auseinandersetzung allein auf das Internet beschränkt. Die Frage jedoch, was förderlich und was schädlich ist, sei im Zusammenhang von Jugendsexualität und Internet falsch gestellt, führt Dr. Silja Matthiesen an. Es gehe vielmehr darum, negative Wirkungen frühzeitig zu erkennen und positive Wirkungen zu verstärken. Hierzu steckt die Forschung allerdings noch in den Kinderschuhen.
Deutlich fortgeschritten sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Internetpornografie und Jugendliche. Studien haben ergeben, dass der erste Kontakt von Jugendlichen mit Internetpornografie zumeist über Werbefenster auf anderen Internetseiten erfolgt, die sie dann anklicken. Aber auch über Suchmaschinen erhalten sie direkten Zugang zu den weltweit offerierten Sex- und Porno-Seiten (wenn nicht entsprechende Filtersysteme installiert sind). Altersverifikationssysteme, mit denen verschiedene Pornokanäle arbeiten, lassen sich leicht umgehen. Ein Klick reicht aus „Ja, ich bin 18 Jahre alt“ und schon sind Pornoclips frei verfügbar. Internetpornografie ist somit längst kein Tabu mehr unter Jugendlichen – vor allem den männlichen Jugendlichen. Im Gegenteil „Pornos sind normal und Bestandteil des alltäglichen Medienkonsums“ – zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Porno im Web 2.0“. 60-80% der Jugendlichen ab 13 Jahren haben bereits pornografisches Material gesehen, wobei Jungen generell sehr viel häufiger Pornografie konsumieren als Mädchen. Über 70 % der männlichen Jugendlichen sehen regelmäßig entsprechende Clips, Filme und auch Bilder im Internet. Diese ersetzen die früher gängigen Masturbationsvorlagen (Hefte, Videos) heute nahezu vollständig. So verstanden gehört Pornokonsum wie Masturbation zur Identitätssuche in der Pubertät dazu. Wie Studien belegen, bewerten Jungen pornografische und erotische Darstellungen entsprechend: Für sie sind Pornos eher erregend, Mädchen hingegen zeigen sich häufiger abgeneigt.
Vorbehaltlich der Tatsache, dass es noch keine aussagekräftigen Studien über alle Aspekte der Wirkung von Internetpornografie auf Jugendliche gibt, sehen Experten/innen die Problematik von (Online-) Pornografie v.a. darin, dass Jugendliche sexuelle Normvorstellungen daraus ableiten könnten, die wenig mit der Realität zu tun haben (Körperbild, sexuelle Verhaltensweisen, Rollenbilder). Neben dem daraus erwachsenden generellen Erwartungsdruck kann der Konsum von Pornografie auch ganz unmittelbar Einfluss auf das eigene Sexualverhalten haben: Gehört das dazu? Muss ich das auch machen? Unabhängig davon, wie wir (Internet-) Pornografie bewerten: Für nicht wenige Jugendliche gehört sie zur sexuellen Entwicklung dazu. Nicht mit den Jugendlichen darüber zu sprechen, hieße, sie mit ihren Fragen allein zu lassen (zum Beispiel: Was ist normal? Lassen sich Liebe und Sexualität trennen? usw.). Über Internetpornografie sollte also unbedingt geredet werden – auch in der Schule. Was es dafür an erster Stelle bedarf, ist eine Enttabuisierung des Themas an der Schule. Handlungsspielräume müssen geschaffen bzw. intensiver genutzt werden und Lehrer/innen bei der Bewältigung einer solch komplexen Aufgabe unterstützt werden – fordert Petra Grimm von der Hochschule der Medien in Stuttgart, Verantwortlich für die Studie „Porno im Web 2.0“. Hierzu bedarf es u.a. auch fundierter Unterrichtsmaterialien.
Eine der wenigen verfügbaren Materialien zum Thema hat Klicksafe.de erarbeitet – Titel: „Let´s Talk about Porno“. www.klicksafe.de/themen/problematische-inhalte/ pornografienutzung